Landesblinden- und -sehbehindertenverband Baden-Württemberg e.V.

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Seriöse Hersteller warnen vor Tricks an Tür und Telefon

Karlsruhe/Freiburg/Pforzheim. Das Telefon klingelt zur Frühstückszeit. Die unbekannte Frauenstimme verspricht weder einen Glückspielgewinn, noch will sie eine Umfrage machen sie wirbt für ein gutes Werk : Ob die Dame des Hauses die Blindenwerkstätten unterstützen möchte? Ein paar neue Geschirrtücher, Wäscheklammern oder Bürsten könne sie doch sicher gebrauchen? Grundsätzlich gerne , antwortet die BNN-Leserin, aber wo kann ich mir die Ware anschauen? Schicken Sie mir einen Katalog? Oder kann ich Ihr Sortiment im Internet sehen? . Da klingt die Anruferin, die nach eigener Aussage zu einer Pforzheimer Firma gehört, sofort strenger: Nein, so arbeiten wir grundsätzlich nicht. Sie können nur jetzt direkt über Telefon bestellen , stellt sie klar. Die Hausfrau, die trotzdem nichts ungesehen kaufen will, plagt fast das schlechte Gewissen, als sie auflegt. Doch sie hat richtig gehandelt das meint jedenfalls Petra Mack.

Mack ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Nikolauspflege, und die betreibt in Esslingen eine der wenigen verbliebenen Blindenwerkstätten Baden-Württembergs. Wir haben mit diesen Leuten ziemlich viel Ärger , stöhnt Mack über die Telefon-Drücker, das ist total frustrierend . Auch an Haustüren versuchten unseriöse Anbieter immer wieder, mit Blindenwaren ihr Geschäft zu machen. Da werden dann busladungsweise Mitarbeiter ausgekippt, die die Stadt durchpflügen und die zum Teil behaupten, sie kämen von uns. Eines aber stellt Petra Mack klar: An Haustüren verkaufe ihr Unternehmen nichts gegen Bargeld. Ein einziger Vertreter alter Schule arbeite noch für die Nikolauspflege: Er verteilt Kataloge und nimmt Bestellungen entgegen, aber er verkauft definitiv keine Waren. Den Versand und die Bezahlung wickeln wir ab.

Auch der südbadische Blinden- und Sehbehindertenverein in Freiburg warnt vor windigen Haustürgeschäften mit angeblichen Blindenwaren. Aus der Ortenau gab es in den vergangenen Monaten öfter Nachfragen von verunsicherten Kunden. Wenn ein Vertreter behauptet, er käme vom Blindenverband, dann stimmt das nicht , betont Geschäftsführer Mischa Knebel der Verband habe weder eigene Werkstätten, noch Außendienstverkäufer.

Eine letzte kleine Vertretergruppe im Seniorenalter ist für die Blindenwerkstätte Schramberg-Heiligenbronn im Land unterwegs. Wir haben noch acht Vertreter, ihr Altersdurchschnitt liegt weit über 70 Jahre , erzählt Werkstattleiter Friedrich Palmer. Sogar eine alte Dame aus Freiburg, die über 90 ist, betreut noch einige Firmenkunden . Palmer beteuert: Ein seriöser Vertreter würde niemandem etwas an der Haustüre aufschwatzen. Auch seine Leute nähmen nur Bestellungen entgegen, kein Geld. Allerdings seien die Haustürbesuche ein aussterbendes Geschäft, die Telefonwerbung seit langem auf dem Vormarsch. In Neubaugebiete brauchen sie heutzutage niemanden mehr schicken , sagt Palmer. Seine Einrichtung, die derzeit 28 Mitarbeiter, vor allem Bürstenbinder beschäftigt, geht auf die Sozialarbeit eines Franziskanerinnenklosters zurück. Dass dieser gute alte Name gelegentlich von betrügerischen Trittbrettfahrern missbraucht wird, ärgert Palmer: Ich sage den Leuten dann, sie sollen Anzeige bei der Polizei erstatten.

Für höchst dubios hält der Branchenkenner die Telefonmarketing-Firmen, die wie jene aus Pforzheim arbeiten. Verbraucherschützer sehen einen Gesetzesbruch, wenn Privatleute von Verkäufern angerufen werden, ohne dass sie vorher eingewilligt haben. Das verstößt gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb , sagt Hannelore Brecht-Kaul von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Werkstattleiter Palmer geht es aber noch um etwas anderes: Wir wollen gute Handwerksarbeit vermarkten, nicht auf Mitleid fahren , betont er. Ebenso wie die Esslinger Kollegen haben die Heiligenbronner nach neuen Marktnischen gesucht. Der Edel-Versand Manufactum zum Beispiel war ein Türoffner . Palmer setzt zunehmend auf Ziegenhaar und Edelhölzer statt auf Standard-Bürsten und -besen. Wir setzen mehr auf die Design-Schiene , sagt Petra Mack, die in Esslingen die Arbeitsplätze von 30 Blinden und Sehbehinderten sichern muss. Seit die Manufaktur vor fünf Jahren aus der Insolvenz herausgeführt wurde, bemüht sie sich stark um neue Vertriebswege und Kundenkreise im Internet und auf Weihnachtsmärkten. Poppig gestaltete Spülbürsten, Staubbesen und Wäscheklammern finden auch bei modebewussten Käufern Anklang. Auch einen eigenen nikomanufakt -Internet-Laden haben die Esslinger. Mit gutem Grund gehen Mack und Palmer solche neuen Vertriebswege. Viele Blindenwerkstätten sind der Konkurrenz aus Fernost zum Opfer gefallen , sagt Mischa Knebel vom südbadischen Blinden- und Sehbehindertenverein. Ein handgefertigter stabiler Besen oder Korb aus einer Blindenwerkstätte könne mit Schnäppchenware aus dem Supermarkt preislich einfach nicht konkurrieren.

Doch nicht allein der Konkurrenzkampf auf einem globalisierten Markt sei für das Sterben des Blinden-Handwerks verantwortlich. Früher waren Bürstenmacher, Korbflechter, Weber typische Blindenberufe, doch heute können blinde und sehbehinderte Menschen mit Hilfe neuer Technologien viele Berufe erlernen , verweist Knebel auf einen tiefgreifenden Wandel im Computerzeitalter. Und Friedrich Palmer erinnert an traurige Hintergründe für den früheren Boom der Blindenarbeit: Die Kriegsblinden waren einst eine große Gruppe , betont er, und frühgeborene Kinder sind oft erblindet, als der medizinische Fortschritt noch nicht so weit war.

Quelle: Badische Neueste Nachrichten

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